Interview mit Inga Glander

Die neue Umbaukultur

Inga Glander, Projektleitung Baukulturbericht bei der Bundesstiftung Baukultur

Prolog

  • Autorin: Redaktion
  • Foto: Bundesstiftung Baukultur

In kürzester Zeit ist in der Politik und Bauwirtschaft und natürlich auch bei Architekten ein Bewusstsein für den Bestand entstanden. Nun steht nicht mehr der Neubau an erster Stelle, Revitalisierungen gewinnen an Bedeutung. Damit ist das ökologische Ziel verbunden, graue Energie, also die CO2 Emissionen die in Baustoffen wie Beton und Stahl gebunden sind, zu sparen.

Redaktion: Sie arbeiten aktuell am nächsten Bau­kulturbe­richt der Bundesstiftung Baukultur, dieser wird den Titel „Neue Umbaukultur“ tragen. Wieso bedarf es Ihrer Meinung nach eines Paradigmenwechsels von der Neubau- zur Umbaukultur?

Inga Glander: Früher war es gang und gäbe, sich viel intensiver mit dem Bestand auseinanderzusetzen und ihn weiterzubauen. Erst im letzten Jahrhundert kam das Bild auf, etwas Neues müsse das Alte ablösen. Diese Einstellung war sicherlich auch der scheinbar nicht enden wollenden Fülle an Ressourcen geschuldet. Ab den 1980er-Jahren rückte ins Bewusstsein, dass es doch eine End­lichkeit gibt. Seit ca. 40 Jahren wissen wir also, dass da eigentlich etwas passieren muss. Aber da wir die Auswirkungen des Klimawandels erst jetzt spüren, kommen wir auch wirklich ins Tun. Und wenn wir Ressourcenschonen und Klimaschutz ernst nehmen, geht das nur mit dem Bestand.

Redaktion: Aber wieso hat es eine Ressourcenverknappung gebraucht, dass man wieder dieses Bewusstsein entwickelt hat?

Inga Glander: Oft wird der Wert dessen, was uns umgibt, gar nicht so wirklich begriffen, es fehlt an Wertschätzung. Thema des Berichts wird auch sein, wie wir von der grauen zur goldenen Energie kommen. Denn es geht nicht nur um Emissionen und Rohstoffe, im Bestand stecken auch die Muskel- und Gedankenkraft, die Zeit und Energie der Menschen, die ihn errichtet und erhalten haben. Der Umgang mit dem Bestand hat das Potenzial, dass wir aus ihm eine zeitgenössische Architektursprache entwickeln können, und das an einem bereits angewachsenen Ort, für den man nicht erst eine Identität stiften muss. Die ist schon vorhanden, quasi ein Geschenk. Auch in der Immobilienwirtschaft wird immer stärker erkannt, dass es daher auch lukrativ sein kann, mit dem Bestand zu arbeiten.

Redaktion: Bundesbauministerin Klara Geywitz sagte neulich, dass das größte gesellschaftliche Risiko darin besteht, dass wir einfach so weiterbauen, wie wir es die ganze Zeit getan haben. Was müsste sich denn Ihrer Meinung nach ändern?

Inga Glander: Wenn wir uns die nüchternen Zahlen anschauen, stellen wir ganz schnell fest, dass alle am Planungs- und Bauprozess beteiligten Berufsgruppen ein Interesse haben sollten, daran etwas zu ändern. In Deutschland entfallen 40% der CO2 Emissionen auf den Bau- und Gebäudesektor, weltweit sind es sogar über 50%. Abgesehen von dem Klimaschutz geht es natürlich auch um den Ressourcenschutz. In Deutschland ist der Bausektor für 90% des mineralischen Rohstoffabbaus verantwortlich.
Außerdem haben wir unser Augenmerk lange nur auf die Energieeffizienz des Betriebs von Neubauten gerichtet, an diesem Punkt haben wir zu kurz gedacht. Wenn man auch die Emissionen betrachtet, die bei der Errichtung eines Gebäudes anfallen, dann hat ein saniertes Bestandsgebäude eine bessere Klimabilanz als ein energieeffizienter Neubau. Deswegen muss sich dieser Blickwinkel ändern, von der Energie- zur Emissionseffizienz.

Redaktion: Wir in Deutschland neigen dazu, Dinge gerne mal zu reglementieren. Wie bekommen wir es hin, dass sowohl der institutionelle Anleger als auch der private Bauherr mehr Freude am Sanieren bekommt?

Inga Glander: Freude ist das richtige Stichwort. Die Bundestiftung Baukultur hat das Handbuch Mit Freude sanieren herausgegeben, weil genau das der richtige Ansatz ist. „Du musst …, du sollst …“ hat immer etwas Zwanghaftes. Es geht darum, das Positive im Umgang mit dem Bestand zu vermitteln, eben den Wert dieser goldenen Energie, da liegen sehr viele Möglichkeiten. Und natürlich sollten auch über Fördermöglichkeiten Anreize geschaffen werden.

Redaktion: Daniel Fuhrhop hat in seinem Buch „Verbietet das Bauen“ aufgerufen, den Abriss zu verbieten, und andernorts gibt es schon Forderungen nach einer Nichtbau-Konferenz. Wie stehen Sie, wie steht die Bundesstiftung Baukultur zu solchen Forderungen?

Inga Glander: Den Abriss stärker unter eine Art Genehmigungsvorbehalt zu stellen, halten wir schon für richtig. Je nach Länderbauordnung wird das unterschiedlich gehandhabt, aber im Regelfall muss man den Abriss eines Gebäudes bis zur Gebäudeklasse 3 derzeit noch nicht einmal anzeigen. Wir wollen natürlich nicht noch weiter zu Überregulierungen beitragen, aber trotzdem geht es darum, die Vorzeichen zu ändern und zu leichtfertigen Abriss zu erschweren. Im Gegenzug wäre es sinnvoll, für den Umbau Erleichterungen zu schaffen, beispielsweise beim Brandschutz, Wärmeschutz, Schallschutz, bei den Abstands- oder Stellplatzflächenregelungen.

Redaktion: Jetzt haben wir ja die ganze Zeit die Umbaukultur unter dem Aspekt des Bestandsbaus gesehen, aber betrifft denn die Umbaukultur perspektivisch auch den Neubau?

Inga Glander: Dafür steht das „neu“ im Titel „Neue Umbaukultur“. Der Neubau sollte den späteren Umbau vorausdenken. Dafür sollte es Ziel sein, im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu bauen und von Beginn an eine spätere sortenreine Trennung der eingebrachten Baumaterialien zu berücksichtigen. Denkbar wäre auch, dass bereits beim Bauantrag noch eine Zweit- oder Drittverwendung für das Gebäude angegeben werden muss. Dadurch würden Neubauten flexibler für zukünftige Nutzungsänderungen.

Redaktion: Könnten Sie bitte noch einen Ausblick zu dem demnächst erscheinenden Baukulturbericht geben?

Inga Glander: Sehr gerne. Der Baukulturbericht 2022/23 wird am 8. November 2022 in Berlin beim „Tag der Umbaukultur“ veröffentlicht.

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